Donnerstag, 7. August 2008

Atem des Lebens

Gott oder Großhirn
Woher kommt die Seele?

Bericht: Samuel Schirmbeck


Gedenken an die Seelen Verstorbener im Paderborner Dom. Ausdruck des Glaubens an die Unsterblichkeit der Seele. Doch - ist die Seele überhaupt unsterblich? Und hat Gott sie uns eingehaucht? Der Paderborner Theologe, Philosoph, Psychoanalytiker und Kirchenrebell Eugen Drewermann. Er suchte nach Antworten - und fand sie - nicht in der Religion, sondern in der Naturwissenschaft! Er machte sich auf eine langjährige Entdeckungsreise - durch die Gehirnforschung - und hat jetzt keine Zweifel mehr: Ja, die Seele ist sterblich und es braucht keinen Gott, um sie zu erklären! 1200 Seiten hat er darüber geschrieben. „Der Atem des Lebens“ heißt sein aufwühlendes Werk, mit dem er zeigen will, dass die Kirche irrt.

Eugen Drewermann: "Die Neurologie kann uns ganz sicher zeigen, dass es ein solches metaphysisches Prinzip nicht braucht, um zu verstehen, wie Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Reflexivität, Person-Sein sich ermöglicht. Damit ist eine Konkurrenz gegeben zwischen der Wissenschaft und dem Glauben."

Also – wir brauchen die Kirche nicht, um das Wesen der Seele – und damit die geistige Menschwerdung zu verstehen! Diese Ketzerei kommt aus Paderborn, der Bischofstadt, der man das katholischste Milieu Deutschlands nachsagt. Hier lebt Drewermann. Und zur Erinnerung: Hier war Drewermann Priester, bis er 1991 erklärte: "Jesus hat diese Kirche nicht gewollt“. Woraufhin er Predigt – und Lehrverbot erhielt und trotzdem zu keiner Zeit daran dachte, die Kritik an den Dogmen der Kirche zurückzunehmen.

Eugen Drewermann, 1991: "Meine Handlungen und Taten, ich füge hinzu, meine Gedanken, geschriebenen und gesagten Worte, widerrufe ich nicht."

14 Jahre später, letztes Jahr, trat Drewermann aus der Kirche aus. Ein Dialog fand schon lang nicht mehr statt. Trotzdem fordert Drewermann die Kirche unbeirrbar auf: Schaut ins Gehirn und nicht nur gen Himmel! Seht, wie es sich entwickelt, durch neuronale Verschaltungen kommuniziert, und Vorgänge erzeugt, die schon Sigmund Freud als seelische Prozesse beschrieb.

Eugen Drewermann, Theologe und Psychoanalytiker: "Die Psychoanalyse war mir vor Jahren ein Schlüssel, und nun kommt die Neurobiologie und bestätigt so vieles, was Freud gesehen hat, intuitiv, zeichnet es nach, macht es zum beweisbaren Gegenstand der Forschung. Plötzlich haben Menschen in diesem Sinne eine Seele."

Aber keine Seele mehr im Sinn der Kirche. Keine fertige, von Gott in die Gehirnmaterie eingesetzte Seelensubstanz, keine Trennung zwischen Geist und Körper, sondern Neuronen, die mit dem Tod vergehen - so hat es die Hirnforschung nachgewiesen.

Wolf Singer, Gehirnforscher: "Nach allem, was wir zu wissen glauben, würden Geist und Seele ebenso verschwinden wie die Strukturen, die diese Phänomene aufrecht erhalten, nämlich das Gehirn, das ja nach dem Tod zerfällt, mangels Energiezufuhr nicht mehr arbeiten kann, seine Struktur verliert und damit auch alle die Informationen, die in diesem Gehirn gespeichert sind, vernichtet werden."

Die unsterbliche Seele findet also ein biologisches Ende? Damit verliert die Kirche ihre Geschäftsgrundlage, meint Drewermann. Was ist dann mit denjenigen, die Gott mit ihrer Seele suchen wie dieser Mönch? Theologie und Gehirnforschung– offensichtlich gibt es zwei Sprachen zur Beschreibung des Phänomens „Seele“...

Wolf Singer, Gehirnforscher: "Was aber nichts Außergewöhnliches ist, denn wir beschreiben den Vogelflug in seiner Ästhetik auch mit anderen Worten als die Mechanik der Flügelbewegungen, die diesen Flug ermöglicht."

Ein neues Verständnis von der Seele zu finden, wäre die heilige Pflicht der Kirche, meint Eugen Drewermann – sie brauche eine geistige Revolution, wolle sie in der heutigen Welt ernst genommen werden. Aber das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes und das Nicht-Aufnehmen psychoanalytischer wie naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Auslegung der Bibel mache den Glauben zum Feind der Intelligenz.

Eugen Drewermann: "Gott wird von den Theologen noch immer aus dem bewiesen, was wir nicht wissen: "ie entstand das Leben? Es ist rätselhaft, aber: Dann muss es Gott gemacht haben. Wie entsteht unser Bewusstsein? Es ist rätselhaft: Also muss es Gott gemacht haben. Auf diese Weise wird Gott zu einem jagbaren Wild, das wir von Lichtung zu Lichtung hetzen im Fortschritt der Wissenschaften – ein Rückzugsgott."

Einen solchen Rückzugsgott will Drewermann nicht. Er ist kein Atheist. Durch die Befreiung aus dogmatischen Fesseln soll Gott wieder für alle Menschen erfahrbar werden, ein Gott, der keine Angst zu haben braucht vor den Erkenntnissen seiner Geschöpfe.

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