Mittwoch, 16. September 2009

Träume

ie hebräische Bibel buchstabiert Weite, den weiten Raum von der Gegenerfahrung her, von Erfahrungen der Bedrohung, der Bedrängung, der Gewalt und Ungerechtigkeit her. Was Weite bedeutet wird oft erst im bedrängten Raum sichtbar. Und die Befreiung in den weiten Raum hinein wirft die Erfahrung der Enge nicht ins Vergessen, sondern bewahrt sie – einem Reisegepäck gleich – in der Erinnerung, im Gedächtnisraum.

Gleichzeitig entwirft die hebräische Bibel visionär immer wieder Räume, in denen befreites und aufrechtes Gehen möglich ist. Diesen Traum bringt auch Psalm 126 zur Sprache: „Als Adonaj Zions Geschick wendete, als Israels Gott die Gefangenschaft endete, war’s, als träumten wir.“ Die Befreiungserfahrung aus Enge und Ausweglosigkeit findet einen Ort in den Worten „war’s, als träumten wir“.

Träume haben in der hebräischen Bibel einen großen Realitätsgehalt. Was in Psalm 126 mit Traum gemeint ist, ist kein Traumbild, kein flüchtiger Traum oder eine Selbsttäuschung. Die meisten Traumtexte sind von der Wirklichkeit des Geträumten fest überzeugt (vgl. Genesis 20,3ff; Genesis 37ff; Richter 7,13.14; 1 Könige 3,5). Träumen ist fast so etwas wie eine neue Existenzweise und nicht nur Vorzeichen einer neuen Zeit. Träumen ist schon Teil der Rettung, Träumen eröffnet den weiten Raum, ist der weite Raum. Traum, Imagination, virtuelle Wirklichkeit und Realität sind hier keine Gegensätze. Wenn die Betenden die Befreiung aus der Enge erfahren (haben), träumen sie den weiten Raum des freien Gehens, gehen sie wie im Traum, gehen sie im Raum der Gerechtigkeit Gottes.

Träume transportieren Hoffnung und stiften eine imaginative Kraft, die am Leben bleiben lässt. „Wer hofft, sieht hin!“ So hat es Elie Wiesel einmal formuliert, und er fügt hinzu: „Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, sondern Gleichgültigkeit.“

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